Das ist eine länger Geschichte. Nach dem Abitur wollte ich nur noch weg aus Freiburg, egal wohin. Da ich nicht wusste wohin mit mir, bin ich wandern gegangen im Schwarzwald und war drei bis vier Tage unterwegs, das war 2002. Als ich mitten im Schwarzwald war, fing dieser Jahrhundertregen an. Da hatte ich keine Lust mehr und fing an zu Trampen, wo ich bis nach Prag, weiter an die österreichische Grenze und schließlich bis nach Wien gekommen bin. Ich hatte niemandem gesagt wohin ich gehe, meiner WG nur einen Zettel hingelegt, dass sie sich keine Sorgen machen sollen, ich käme wieder.
Dann rief ich meinen Vater an, der hatte eine alte Studienfreundin in Wien, deren Adresse ich suchte. Dort angekommen stellte ich fest, dass sie nicht zu Hause war. Das war der Tiefpunkt meiner Reise. Mit Tränen in den Augen stand ich da. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich jedem gesagt, dass ich kein Geld hätte – ich wollte einfach mal wissen, ob das funktioniert. Beim Wandern braucht man ja nicht so viel Geld, ich habe im Wald geschlafen. Zum Glück war eine Nachbarin der Studienfreundin zu Hause, die mich aufnahm. Im Endeffekt hat sie mir eine Wohnung angeboten, die ich angenommen habe. So kam ich zurück nach Freiburg, hatte eine Wohnung in Wien, wusste aber immer noch nicht, was ich machen soll.
»Ziehe nie irgendwo hin, wenn du nicht weißt, was du da machst!«
Dort machte ich ein Praktikum in einem Comicverlag, aber das hat mich nicht ausgelastet. Zwischendurch war ich einen Monat in Spanien, wo ich als Jugendleiterin ein Camp geleitet habe. Eine Freundin aus Hamburg fragte mich »Hey, ich ziehe nach Leipzig, kommst du mit?!«‚ und dann bin ich nach Leipzig gezogen. Ich hatte mich an diversen Kunsthochschulen beworben, das hat aber alles nicht geklappt. Sodass ich dann an dem Punkt war: Keiner will mich, ich kann nix, also lass ich es bleiben. Ich dachte: Okay, dann studier‘ ich was Vernünftiges und habe mich für Hispanistik und Germanistik auf Lehramt eingeschrieben – inspiriert von meinem Spanienaufenthalt. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich sehr schnell gemerkt, dass es voll die Schnapsidee war, ich kam mir so fehl am Platze vor. In Leipzig gab es aber so eine Abendschule mit Dozenten der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) und da habe ich Kurse belegt. Und dort stellte ich fest, ne, es muss doch was mit Kunst sein. Daraufhin habe ich mich in Leipzig an der Uni für Kunst auf Lehramt beworben und geleichzeitig in Berlin an der Universität der Künste (UdK) für Visuelle Kommunikation. Es hat beides geklappt. Für mich war schnell klar, dass ich nach Berlin gehe, da mein Freund dort gewohnt hat – dabei wollte ich eigentlich nie nach Berlin, das hat sich so ergeben. Der Studiengang war dort aber recht digital angelegt, ich habe schnell gemerkt, dass ich eigentlich zeichnen und mit der Hand arbeiten möchte. Ich schloss dort mein Vordiplom ab und ging für ein Auslandssemester nach Luzern. In Luzern gibt es ein Comicfestival bei dem ich seit vielen Jahren im Aufbau mitgeholfen habe, dort lernte ich Anke Feuchtenberger – eine Professorin für grafisches Erzählen in Hamburg – kennen und belegte bei ihr einen Kurs. Daraufhin war mir relativ schnell klar, dass ich dorthin wechsele und habe in Hamburg mein Diplom gemacht.
Meistens, um der Frage auszuweichen, sage ich, ich bin Zeichnerin. Eigentlich trifft es das ganz gut. Nur Illustratorin wäre mir zu eng, oder nur Comic-Zeichnerin auch. Künstlerin irgendwie auch. Ich bewege mich zwischen diesen drei Pfeilern. Mein Medium ist die Zeichnung, von daher passt Zeichnerin ganz gut.
»Ich bin wie eine Hebamme,
die der Geschichte hilft auf die Welt zu kommen.«
Als Selbstständige bin ich meine eigene Sekretärin, mein eigener Boss, mein eigener Manager, meine eigene Pressefrau, mein eigener Motivationscoach.
Ich gebe auch Workshops, zum Beispiel zum Thema Graphic Novel oder Comic. Dort ist mir wichtig, dass die Leute zeichnen, wie sie können. Ich unterstütze sie eher dabei, in den Fluss zu kommen und eine Geschichte zu finden und diese möglichst gut in ihren eigenen Mitteln darzustellen. Es geht gar nicht ums Zeichnen lernen. Man lernt dabei auch Zeichnen, aber ich bringe keine Techniken bei, das mag ich nicht. Das finde ich auch falsch, weil jeder anders zeichnet.
Ich bin wie eine Hebamme, die der Geschichte hilft auf die Welt zu kommen. Das ist auch das schwierigste. Wenn man nicht weiß, was man erzählen will, sitzt man da. Wenn man das weiß, ist es einfacher, da man sich auf das wie-erzähle-ich-das konzentrieren kann. Das Geschichtenerzählen ist mir wichtiger als die perfekte Zeichnung. Mit Strichmännchen kann man zum Beispiel auch eine tolle Geschichte erzählen. Eigentlich bin ich der Meinung, dass jeder zeichnen kann.
Natürlich mache ich Auftragsarbeiten, wie Flyer und Poster für Konzerte, eigene Projekte, wie das Monster Malbuch und wiederkehrende Projekte wie das Springmagazin, dort habe ich auch Pressearbeit gemacht. Es ist sehr unterschiedlich, ich habe auch schon für Architekten gearbeitet oder für einen Messestand für Schindler ein Mitmach-Malbuch konzipiert. Das sind riesige bannerhafte Zeichnungen zum Thema »Aufzüge«, die vor Ort weitergemalt werden konnten. Das aufregendste an diesem Job war die Zollüberführung in die Schweiz.
Was ich auch mache, was immer mehr von Firmen gewünscht wird, ist Graphic Recording, ein Simultanprotokoll in Einzelbildern.
Ich hatte auch immer einen Nebenjob. Einerseits um eine stetige Geldquelle zu haben und andererseits um mal raus zu kommen, arbeite ich am Theater Basel als Ankleiderin fürs Ballett.
Mit sehr vielen: Mit Tusche und Feder, mit Bleistift, mit Pigmenten, Kohlepigmenten, Graphit, aber auch mit Acryl, mit flüssiger Tusche. Ich mache auch Holzschnitte. Ich probiere eigentlich sehr gerne aus. Am Ende wird es digitalisiert für den Druck. Gerade für das Springmagazin arbeiten wir im Duplex-Druck, das sind oft Bleistiftzeichnungen, die ich digital umfärbe. Ganz selten arbeite ich rein digital mit Vektorgrafiken, nur, wenn es ein Job erfordert.
Ähm, zeichnen?! (lacht) Ne, selbst das ist sehr abwechslungsreich. Jetzt gerade die neuen Bilder, die in der Ausstellung hängen, das habe ich sehr genossen, eine Serie zu einem Thema zu machen. Die größeren sind Kohlearbeiten, das ist ziemlich neu für mich. Das hat total Spaß gemacht, weil es so ein weiches Medium ist, so geschmeidig und toll aussieht, finde ich.
Bei dem Beitrag den ich für das Spring gemacht habe – die Ananas-Comic-Strips »Juicy Lucy« –, dort war es die Herausforderung, einen prägnanten Dialog der Figuren, die Textebene, zu machen. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Die Zeichnungen sind super minimalistisch.
Ich habe Comics gezeichnet, da war zuerst der Text vorhanden und dann die Bilder, aber ich habe auch Comics gemacht, wo ich erst die Bilder bereits hatte und den Text im Nachhinein dazu geschrieben habe.
Es gibt bei jedem Projekt eine neue Herausforderung die mich interessiert. Am liebsten habe ich analoges Zeichnen, egal womit!
Themen nicht unbedingt, aber ich zeichne sehr gerne Natur und Organisches, Pflanzen, Tiere.
Ich habe oft das Gefühl, ich lande bei ernsten Themen. Ich denke, wenn ich zeichne, muss ich doch was Relevantes zeichnen. Wobei ich mir nicht so sicher bin, ob das andere auch relevant finden. Es sind auf jeden Fall Themen, die mich interessieren oder mich selbst betreffen, aber nicht nur. Zum Beispiel hatte ich das Thema »Trophäen« und die »Lust am Töten«, ein grauenvolles Thema, das mich nicht losgelassen hat. Das habe ich gewählt, weil ich es so abartig fand, weil ich das nicht begreifen kann. Ich habe recherchiert und diese Bilder gesammelt. Ich fand es so seltsam, wie glücklich diese Jäger sind, im Angesicht ihrer erlegten Tiere. Trotzdem ist es ästhetisch etwas total ansprechendes. Dieses Thema ist etwas, was ich nicht begreifen kann und dann versuche ich es zu verarbeiten. Ich möchte auch zeigen, wie schlimm das ist. Die Serie ist unter dem Titel »Die Zeit heilt alle Wunder« im Springmagazin veröffentlicht worden.
»Ich fand es so seltsam, wie
glücklich diese Jäger sind, im Angesicht
ihrer erlegten Tiere.«
Ne, dafür habe ich schon zu viele Verschiedene gemacht. Ich habe ja noch kein Buch – oder Graphic Novel – gemacht. An sowas sitzt man zwei, drei Jahre. Ich dachte immer, ich mache das mal, aber bisher ist es noch nicht passiert. Vielleicht sind kurze Projekte mein Ding. Ich bin mir nicht sicher. Die Arbeiten die zum Beispiel in der Ausstellung hängen, die Kohle- und Bleistiftzeichnungen, das hat mir wirklich viel Freude gemacht und es hat eigentlich nichts mehr mit Comic zu tun.
Das Indien-Projekt war auch super, die Zeit dort. Larissa Bertonasco und ich sind gemeinsam nach Delhi eingeladen worden für einen Comic Workshop zum Thema »Gewalt gegen Frauen«, daraus ist das Buch »Drawing the Line« entstanden, zusammen mit dem Goethe Institut und dem feministischen Verlag Zubaan. Larissa hatte die Idee, dass wir, die KünstlerInnen Gruppe »Spring«, indische Zeichnerinnen kennenlernen, mit ihnen zusammenarbeiten und daraus ein neue Springausgabe entsteht. Gemeinsam mit 8 indischen und 8 deutschen Zeichnerinnen waren wir 10 Tage zusammen bei Bangalore und haben dort gearbeitet. Das Ergebnis ist die aktuelle Springausgabe SPRING #13: The Elephant in the Room.
Es gibt zwei. Das eine wäre die seit vielen Jahren angedachte Comic-Geschichte über meine Familie. Aber dafür müsste ich sehr viel Zeit und Geld haben und viel rumreisen. Weiß ich nicht, ob das zu Stande kommt. Ich weiß sehr wenig. Väterlicher Seits waren meine Vorfahren Russlanddeutsche und wurden vertrieben, mütterlicher Seits aus Norwegen und aus der Schweiz, die wiederum nach Amerika ausgewandert sind. Ich bin so ein Kind von Ost und West, USA und Russland. Das ist so ein riesiges Thema, da kriege ich auch sofort Angst und weiß gar nicht, ob ich darin rumwühlen will.
Das andere wäre: Ich würde mal gern ein Buch schreiben, ohne Bilder. Aber da gibt es momentan kein konkretes Thema.
Noch etwas ganz anderes: Ich würde wahnsinnig gerne mal nach Neuseeland für ein paar Monate und dort woofen gehen, mit den Händen arbeiten. Ich habe viele Ideen, man bräuchte halt das Geld dafür.
Vielen Dank Ludmilla für das Interview! :D